This document is part of the Ocean Girl Archive — Last update: 2009-02-15 — source — meta
„Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Menschen auf der Welt gibt!“
Neri stand in der Tür zur Kantine und starrte in den Raum. Eine Menge Kinder, die zu mittag essen wollten liefen herum, gaben ihre Bestellungen an der Theke bei der elektronischen Speisekarte ein und warteten am anderen Ende der Theke darauf, dass das Essen im Ausgabeschacht erschien.
Jason und Brett führten sie zur Theke. Lee hatte gerade ihre Wahl getroffen, als sie ankamen.
„Oh, hallo Jason.“
„Hi, Lee.“
Neri wiederholte ihn mit einem freundlichen Lächeln. „Hi Lee!“
Lee schaute etwas verwirrt, nickte aber dann zu der Fremden, bevor sie sich zur Ausgabe begab. Jason flüsterte aus dem Mundwinkel eine Warnung.
„Sprich nicht. Such dir nur etwas zu essen aus.“
„Der sieht gut aus“, sagte Neri und zeigte auf einen Tripeldecker-Hamburger, der gerade vorbeigtragen wurde.
„Hmm, Jason, warum suchst du nicht einen Tisch, und ich mache die Bestellung?“ schlug Brett vor und fügte mit leiser Stimme hinzu: „Ich werde ihr einen Teller Revegiton holen.“
Revegiton war eine dickflüssige, grünliche Substanz, die aus wiederverwerteten Gemüseabfällen und Seegras hergestellt wurde. Es war billig, sehr nahrhaft und schmeckte wie modrige alte Socken. Einige Eltern bestanden darauf, dass der Kantinencomputer ihren Kindern mindestens einmal am Tag eine Portion davon vorsetzte, doch es wurde fast immer stehengelassen.
Nichts konnte einen Appetit so schnell stillen wie ein großer, üppiger Teller mit Revegiton.
Brett gab ihre Kreditkartennummer ein und bestellte eine doppelte Portion. Sie würden im null komma nichts wieder hier raus sein, dachte er zufrieden.
Hinter ihnen in der Warteschlange gab es eine Auseinandersetzung. Zwei ziemlich wohlgenährte Mädchen namens Valma und Valerie drängelten sich in der Warteschlange vor Zoe und Froggy.
„Hey, wir waren zuerst da“, protestierte Zoe.
„Haub ab, du Zwerg“, antwortete Valma und hielt Zoe die Fast unter die Nase.
Zoe wusste, dass sie keine Chance gegen die beiden älteren Mädchen hatte. Empört wandte sie sich zu Froggy. „Vielen Dank für die Unterstützung“, sagte sie verärgert.
„Hey, was soll ich tun?“ sagte Froggy mit verletzter Stimme. „Ich kann doch keine Frauen schlagen.“
„Du! Du könntest noch nicht einmal einen Tennisball schlagen!“ erwiderte Zoe.
Jason hatte einen unbesetzten Tisch gefunden. Brett setzte sich mit einem großen, mit grünlichem Pudding gefüllten Teller zu ihnen und schob ihn zu Neri. Sie roch daran.
„Riecht gut“, sagte sie. Sie griff danach, nahm sich eine Handvoll und stopfte es sich in den Mund. „Schmeckt wunderbar!“ rief sie undbegann, sich noch eine Handvoll zu nehmen.
„Nein, Neri!“ zischte Jason. „Iss mit der Gabel. Schau, so.“ Er nahm eine vom Tisch und zeigte es ihr leise. Neri nahm ihre eigene Gabel und machte es ihm nach.
Am anderen Ende der Kantine saß Jodie mit Vanessa und vorzog das Gesicht vor Widerwillen. „Igitt! Hast du das gesehen? Dieses Mädchen hat gerade Revegiton gegessen! Mit ihren Fingern!“
Vanessa drehte sich um. „Welches Mädchen?“
„Das da drüben am Tisch bei den Bates-Brüdern. Wer ist das überhaupt?“
Vanessa kniff die Augen zusammen und schaute in das unbekannte Gesicht.Dann fiel ihr etwas anderes ins Auge — die Uniform, die das Mädchen trug. Vanessas Augen wurden noch schmaler.
„Darf ich mich zu euch setzen?“ Jason zuckte zusammen. Lee stand hinter ihm.
„Nun… ähm… “, fing er an.
„Ja. Setz dich“, strahlte Neri.
„Du bist neu, oder?“ fragte Lee, nachdem sie sich gesetzt hatte.
„Sie hat gerade bei der Putzkolonne angefangen“, ging Jason schnell dazwischen. „Teilzeit, deshalb hat sie nur eine Tageskarte. Ihr Englisch ist noch nicht so gut, weil sie aus — Lettland kommt“, fügte er nach einem plötzlichen Gesitesblitz hinzu.
„Oh. Also zeigen dir Jason und Brett alles?“
„Sie sind meine Freunde“, sagte Neri und kaute fröhlich weiter.
Lee schaute Jason fragend an.
„Wir — wir haben sie vorher schon gekannt“, erklärte er.
„Auf dem Festland“, fügte Brett hinzu. „Wir waren wie vom Blitz getroffen, als wir sie hier getroffen haben.“
„Wo habt ihr euch kennengelernt?“
„In der Schule“, antwortete Jason.
„In den Ferien“, sagte Brett exakt zur gleichen Zeit.
Jason suchte schnell einen Kompromiss. „In den Schulferien.“ korregierte er sich.
Sie wurden unterbrochen, als Froggy und Zoe sich ungefragt zu ihnen setzten. Einen Moment später tauchte Daggy auf, schob einen Stuhl direkt neben Neri und starrte sie mit unverhohlenem Interesse an. Oh nein, dachte Jason.
„Hallo, ich bin Damien“, sagte er eifrig. „Wie ist dein Name?“
„Neri“, sagte sie und löffelte den letzten Rest des grünen Zeugs von ihrem Teller. Zur gleichen Zeit spielte sie mit der anderen Hand mit der Flasche Tomatensoße vor sich. Sie drehte sie um und schaute fasziniert zu, wie dicke Tropfen der roten Mischung auf den Tisch zu laufen begannen. Jason griff nach der Flasche, leider etwas zu spät, und zog sie ihr aus den Fingern.
„Sie war schon immer ein richtiger Clown“, erklärte er den anderen mit einem gezwungenen Lachen. Doch es war ein ernster Unterton in seiner Stimme, als er leise hinzufügte: „Hör auf herumzualbern, Neri!“
In der Zwischenzeit machten Daggys Gehirnzellen Überstunden. Er versuchte sich etwas auzudenken, was er diesem hübschen Mädchen sagen konnte. Etwas, das sie beeindrucken würde. Er fand etwas.
„Hast du gewusst, dass es ein Tier gibt, genannt Bongo-Antilope, das hat eine so lange Zunge, dass es sich die in die eigenen Nasenlöcher stecken kann?“ sagte er. „Das stimmt. Wenn es sich die Nase putzen will, muss es nur… “ Dann versuchte er, es zu demonstrieren. Von einigen erntete er ein Kichern, andere beschwerten sich mit „Wenn es dir etwas ausmacht: Ich bin gerade beim Essen.“ Aber Neri dachte still darüber nach, was er gesagt hatte.
„Interessant“, verkündete sie schließlich.
Daggys Herz schlug ihm bis zum Hals. „Oh, ich weiß noch viele andere ähnliche Sachen“, sagte er zu ihr. „Ich könnte dir noch ein paar davon erzählen, während ich dir hier die Gegend zeige, wenn du das möchtest.“
„Das machen wir bereits“, sagte Jason bestimmt. „Wenn du also fertig bist, Neri… “ Er stand auf.
„Nein“, sagte Neri und schob ihren Teller nach vorne. „Noch hungrig.
Mehr davon bitte.“
Daggy stellte sich eifrig auf die Beine und wollte ihren Teller nehmen.
„Du erlaubst.“
Aber Brett kam ihm zuvor. „Nein, das erledige ich.“
In der plötzlichen Nähe zu Brett zog Daggy die Nase hoch. Seine Augenbrauen hoben sich bei dem Duft von Mom’s Parfüm, den Brett ausstrahlte.
„Hey, ich mag dein Parfüm. Einfach herrlich!“
„Mach dass du hier weg kommst, Dags“, konterte Brett und gab ihm einen leichten Schubs an die Schulter. Neri schaute entsetzt.
„Warum schlägst du ihn?“ fragte sie.
„Das war nicht ernst gemeint. Das macht man unter Freunden so.“ erklärte Brett.
„Ach so, man schlägt sich, um freundlich zu sein“, grübelte sie. „Das muss ich mir merken.“
Vom anderen Ende der Kantine betrachtete Vanessa das Geschehen am entfernten Tisch mit Adleraugen. „Ich glaube, das ist meine Uniform“, murmelte sie.
Jodie blickte von ihrer Zeitschrift auf. „Was?“
„Die, die das Mädchen dort trägt. Ich könnte schwören, dass es meine ist.“
„Aber die sehen doch alle gleich aus.“
„Für dich vielleicht. Aber die hier hat etwas besonderes… “ Sie grübelte, dann fügte sie vorwurfsvoll hinzu: „Außerdem habe ich sie noch nie hier gesehen. Sie ist neu an Bord. Diese Uniformen sollten aber zuerst an die ausgeteilt werden, die schon länger hier sind. Wie kommt es also, dass sie so eine trägt?“
„Was weiß ich. Vielleicht hat ihr Vater auch sine Beziehungen spielen lassen wie deiner. Jedenfalls bringt es nichts, viel Wirbel darum zu machen.
Du kannst es doch eh nicht beweisen, oder?“
„Oh doch, das kann ich.“ Vanessas Augen schauten das Mädchen an der anderen Seite des Raumes scharf an. „Und wenn ich die Chance dazu bekomme, werde ich sie auch nutzen.“
„Er umkreist uns immer noch, Dianne“, sagte Winston und tippte mit dem Finger auf den Schirm.
Sie trat zu ihm und schaute ihm über die Schulter. Der große Leuchtpunkt war ungefähr achthundert Meter weit weg und hinterließ eine gleichmäßige runde Spur. Der Wal hatte das ohne Unterbrechung getan, seit er wieder auf ihren Geräten aufgetaucht war.
„Das ist auf keinen Fall ein zufälliges Verhalten“, sagte Winston und schaute auf die Uhr. „Er macht das jetzt schon seit zwei Stunden.“
Währenddessen wurde das Labor von den Geräuschen seines Gesanges erfüllt. Aber es war diesmal etwas merkwürdiges in seinem Lied, ein klagender, vermissender Ton, fast, als würde er jemanden rufen.
„Ich verstehe das nicht“, sagte Winston und runzelte die Stirn. „Warum interessiert er sich plötzlich so sehr für ORCA?“
Es war eine Frage, die keiner von ihnen beantworten konnte.
Die übrigen Kinder gingen wieder ihren Beschäftigungen nach, und nur noch Jason und Brett saßen bei Neri am Tisch, als sie gerade ihren vierten Teller Revegiton geleert hatte und sich mit einem zufriedenen Seufzen zurücklehnte.
„Hast du jetzt genug?“ fragte Brett skeptisch.
Neri nickte.
„Dann lasst uns hier abhauen“, sagte Jason und stand auf. Sie hatten, so dachte er sich, den Weg durch das felsige Wasser nur mit viel Glück überstanden. Ihre Freunde hatten Neri vielleicht etwas merkwürdig gefunden, aber sie hatten ihr Versteckspiel erfolgreich durchgezogen. Trotzdem wollte er sie von den ständigen prüfenden Blicken der Leute und von ORCA so schnell wie möglich wegbringen.
Sie begaben sich gerade durch den Korridor in Richtung Aufzug, als er bemerkte, dass sie Gesellschaft bekommen hatten. Er drehte sich um und sah Vanessa, die ihnen mit Jodie im Schlepptau an den Fersen klebte. Vanessa musterte Neri eingehend.
„Warte mal, ich will mit dir reden“, rief Vanessa.
„Ja, schön, aber wir wollen nicht mit dir reden“, antwortete Brett während sie ihren Weg zum Lift fortsetzten. Jason drückte die Taste aufdem Panel.
„Ich will wissen, woher du diese Uniform hast“, forderte Vanessa während sie warteten.
Neri wollte den Mund öffnen, doch Jason unterbrach sie schnell. „Geht dich das etwas an, Vanessa?“
„Ich schätze schon. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich sie mir mal etwas genauer anschaue?“
Jason versuchte, sie auf Distanz zu halten. „Doch, das hat sie in der Tat.
Was willst du?“
„Ich will das Schildchen sehen.“
„Bist du etwa die Kleiderpolizei?“
„Ich bin die Besitzerin einer neuen Uniform, die auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Und sie hatte genau die gleiche Größe wie die, die sie gerade trägt.“ Oh nein, dachte Jason insgeheim. Um Himmels Willen — nicht Vanessas Uniform. Hinter ihnen öffnete sich die Lifttür. Er schob Neri hinein. Vanessa wollte ihr folgen, doch er und Brett standen unbewegt vor der Tür, um sie davon abzuhalten. Vanessa stellte sich ihnen gegenüber.
„Ich habe das Schildchen versehentlich zerrissen, als ich die Uniform aus der Verpackung geholt habe. Lasst mich wenigstens darauf einen Blick werfen.“
Unten im Delta Level drückte der junge Billy Neilson, der gerade auf dem Weg zu routinemäßigen Wartungsarbeien war, auf die Lifttaste.
„Verziehst du dich jetzt vielleich langsam?“ ging Brett dazwischen. „Es ist nicht unser Fehler, wenn du rumläufst und deine Kleidung verlierst.“ Dann hörten sie das leise Klicken, mit dem sich die Tür hinter ihnen schloss. Jason griff verzweifelt nach dem Kontrollpanel, doch der Aufzug war bereits weg und fuhr mit Neri ohne sie fort.
„Oh nein“, rief Jason. Er und Brett tauschten einen entsetzten Blick aus, dann rannten sie zum nächsten Aufzug.
Bei Level Delta trat Neri aus dem Aufzug und schaute sich um. Sie wollte nicht von den Jungen getrennt werden, doch jetzt war es passiert und sie würde endlich die Möglichkeit haben, sich etwas umzuschauen ohne ständig zur Eile angetrieben zu werden. Sie suchte sich eine zufällige Richtung aus und ging den Korridor entlang.
Jason hielt den Aufzug im Beta Level an. Beide streckten ihre Köpfe raus.
Kein Zeichen von ihr.
„Sie könnte überall sein!“ sagte Jason drängend. „Du suchst hier. Ich fahre auf die nächste Ebene.“
Brett sprang raus und begann, dass Labyrinth von Korridoren zu durchforsten. Auf der nächsten Ebene tat Jason das gleiche.
Währenddessen wanderte Neri ziellos umher und betrachtete die Wunder in der Umgebung. Sie schlenderte herum und stieg gelegentlich in einen Aufzug, um in ein anderes Level zu gelangen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war, bis sie langsam begann, sich schwach zu fühlen.
Und glücklicherweise sah sie gerade in diesem Moment ein bekanntes Gesicht.
Daggy kam direkt vor ihr um eine Ecke.
„Hi, Neri“, grüßte er sie und sein Gesicht erfüllte sich unübersehbar mit Freude.
„Hallo.“
„Also… was ist los?“
„Ich bin ausgetrocknet. Hast du Wasser?“
„Sicher. Direkt hier ist ein Erfrischungsbecken.“ Er führte sie zu einem Trinkbrunnen. Neri betrachtete das seltsame Gerät unsicher.
„warte, ich mach das schon“, sagte daggy schnell. Er drehte den hahn auf. Neri lächelte erstaunt, als der wasserstrahl durch die luft spritzen sah.
Dann hielt sie ihren kopf darunter. Erst als sie völlig durchnässt war nahm sie ihn wieder hervor.
„Ist besser jetzt. Danke“, sie lächelte Daggy an und setzte ihren Weg den den Korridor entlang fort. Daggy schaute ihr mit offenem Mund und einem überaus verwirrten Gesichtsausdruck hinterher.
Kurze Zeit später erweckte ein erstickter Protestschrei Neris Aufmerksamkeit. Sie schaute sich um. In einer Nische sah sie Zoe mit dem Rücken zur Wand. Vor ihr bewegten sich zwei große Mädchen, Valma und Valerie.
„Hey, Zo Zo, du kleiner Wicht. Wir haben dich schon vermisst“, sagte Valierie mit einem Grinsen.
„Gebt mir ’ne Denkpause“, protestierte Zoe „Am besten überlegst du, was wir dir zuerst brechen sollen“, sagte Valma, griff nach ihrem Arm und drehte ihn um. Als Zoe versuchte, sich freizukämpfen, schlug sie daneben und traf ihren Peiniger an der Schulter.
„Lass mich los!“ protestierte Zoe.
Neri lächelte. Sie kannte das aus der Kantine. So zeigten sich die Leute, dass sie Freunde waren. Sie ging zu Valma. Sie wollte ihr zeigen, dass auch sie ihr Freund war.
„Lasst mich in Ruhe!“ rief sie fröhlich und schlug ihr auf die Schulter.
Valma fiel in die Nische, prallte mit voller Wucht gegen die hintere Wand, rutschte aus und fiel auf den Boden. Valerie ließ sofort Zoes Arm los und wich vorsichtig zurück.
„Du bist auch Freund?“ fragte Neri und näherte sich ihr mit geballter Faust. Valerie gab Fersengeld und rannte weg. Neri schaute ihr verwirrt hinterher.
„Wow. Bleib doch hier“, sagte sie. „Du kannst jederzeit mein Bodyguard sein.“
„Nein, ich muss jetzt weg“, sagte Neri, immer noch verwirrt. „Ich muss mir alles anschauen. Auf Wiedersehn.“
Als Neri wegging, war Valma immer noch dabei, sich vom Boden hochzurappeln.
Nachdem sie den Aufzug in die nächste Ebene genommen hatte, fand Neri sich in einem weiten Korridor wieder, von dem viele Türen abgingen. Leute in weißen Kitteln hielten sich in den Räumen auf und einige schauten sie fragend an, als sie vorbeiging. Langsam fühlte sie sich so, als sei sie hier nicht willkommen und wollte gerade umkehren, als sie etwas vertrautes hörte.
Es war Charleys Lied. Und es kam aus dem letzten Raum. Sie ging in die Richtung und schaute durch die offene Tür. Es war wie ein magischer Platz, eine Höhle voller unbekannter Dinge, die piepsten, leuchteten und Licht ausstrahlten. Und in der Luft konnte sie deutlich Charleys Lied höhren, der sie rief. Unwiderstehlich davon angezogen, ging sie hinein. Sie begann, Charley zu antworten, summte leise unter ihrem Atemmit.
Mach’ dir keine Sorgen. Mir geht es gut und ich komme bald zurück.
Dann bemerkte Neri, dass sie nicht alleine war. Ein Mann und eine Frau befanden sich hinten im Raum und schauten sie neugierig an. Den Mann kannte sie nicht, doch die Frau erkannte sie sofort wieder. Sie ging zu ihnen hin.
„Hallo, ich bin Dianne Bates. Kann ich ihnen helfen?“
Es war Mutter und sie war noch schöner als auf der guten Zeichnung.
„Sind sie neu auf ORCA?“
„Ja. Heute.“
„Ach so, dann sollten sie aber nicht alleine herumlaufen. Sie werden sich verirren. Oder haben sie das bereits?“
Eine Stimme von der Tür untebrach sie. „Junge Lady, kenne ich sie?“
Commander Lucas kam hinein, schaute Neri von oben bis unten an. „Wer ist dieses Mädchen, Doktor?“
„Sie ist neu hier. Ich glaube, sie hat sich verlaufen.“
Lucas schaute auf ihre ID-Karte. „Nur ein Tagespass. Sie muss ein Arbeiter sein. Gut, gehen sie zurück zur Rezeption, rufen sie ihren Supervisor an, finden sie heraus, wohin sie eingeteilt sind und begeben sie sich dorthin. Ich möchte sie nicht wieder irgendwo rumwandern sehen.“
Er zeigte ihr den Weg und Neri machte sich aus dem Staub. Sie fuhr mit dem Aufzug hoch und befand sich schließlich zurück zu einem Ort, den sie wiedererkannte: Die Kantine. Sie schaute hinein und suchte nach den Jungen.
Sie waren nicht da, aber Vanessa, die neben Jodie saß.
„Oho“, sagte Vanessa, „schau mal, wer da ist. Warum unterhalten wir beide uns nicht einmal ein bisschen?“
Neri schaute unsicher. „Ich muss Jason und Brett finden“, sagte sie. „Hast du sie gesehen?“
„Ja, ich weiß, wo sie sind. Im Freizeitraum. Komm, ich zeig’ dir den Weg.“
Sie ergriff Neris Arm und führte sie weg.
Eine Minute später, öffneten sich die Aufzugtüren abermals und Jason und Brett kamen heraus.
„Tja, ich habe überall gesucht“, sagte Brett, als sie die Kantine betraten.
„Kein Zeichen von ihr.“
„Bei mir auch nicht. Als ob sie verschwunden wäre.“
Jodie blickte auf, als sie hineinkamen. „Was macht ihr denn hier?“ fragte sie unschuldig. „Vanessa hat gerade gesagt, ihr seid im Freizeitraum. sie hat dieses Mädchen dorthingebracht, um euch dort zu treffen.“
„Du meinst doch etwa nicht Neri?“ stotterte Jason.
Jodie nickte.
Die Jungen gingen rückwärs aus der Tür.
„Wo sind sie?“ fragte Neri und schaute sich im leeren Raum um.
„Gerade eben waren sie noch da“, log Vanessa ihr vor. „Du musst wohl etwas warten, sie werden schon noch auftauchen. Also, das sind alte Freunde von dir, oder?“
„Ja.“ Neri wurde etwas nervös.
„Ein ziemlicher Zufall. Du siehst ziemlich jung aus für eine Reinigungskraft. Wie hast du den Job auf ORCA bekommen?“
„Ich muss jetzt gehen.“
„Sicher. Sobald du mir gesagt hat, wo genau du diese Uniform her hast.“
Sie umkreiste Neri.
„Ich muss gehen“, wiederholte sie.
„Warum?“ Vanessas Hand griff nach der Rückseite der Jacke. „Es sei denn, du hast etwas zu verbergen… “ Sie begann, den Kragen umzudrehen.
Noch zwei Zentimeter, und sie würde das Schild sehen können.
Die Jungs stürzten durch die Tür. Jason nahm Neri und zog sie weg.
„Neri, wir haben überall nach dir gesucht! Komm, die Zeit läuft uns davon!“
sagte Jason eindringlich.
„Nicht, bis ihr mir sagt, was hier gespielt wird!“ jammerte Vanessa. „Das ist meine Uniform!“
„Du bist ziemlich durcheinander, Vanessa. Das ist nicht deine.“
„Dann lasst mich das Schildchen sehen!“
Plötzlich tönte HELENs Stimme durch die Luft. „Ich bitte um ihre Aufmerksamkeit. Alle Tagespassinhaber bitte an der Rezeption zwecks Abreise von ORCA melden.“
„Da gehört du dazu, Neri. Wir müssen gehen. Tut uns leid, Vanessa. Jetzt gleich.“
„Ja, jetzt gleich“, hallte es von Brett, während sie Neri durch dieTür schoben.
Sie schafften es, sie zum Ponton zu bringen, bevor das Boot ankam um die Tagesbelegschaft zurück zur Küste zu bringen. Sie tauschte schnell ihre Kleidung hinter der Ausrüstungskiste aus.
„Es war ein guter Tag“, zirpte sie und gab Jason die Uniform.
„Meinst du?“ sagte er eintönig.
Neri zeigte auf die Ausrüstungskiste. „Versteckst du es da? Für das nächste mal?“
„Das nächste Mal!“
Brett zeigte aufgeregt auf etwas. „Jace, das Boot kommt!“
„Gut, ich werde es verstecken. Jetzt geh schon!“
„Wir sehen uns bald“, sagte Neri zum Abschied. Sie glitt von der Plattform und verschland unter Wasser.
Jason schaute Brett erschöpft an. „Sie will doch nicht wirklich zurückkommen, oder?“
„Was denkst du?“
Jason warf seinem kleinen Bruder einen vorsichtigen Blick zu. Dann hielt er sich den Kopf mit den Händen. „Oh mein Gott“, stöhnte er. „In was haben wir uns da nur wieder reingeritten?“