This document is part of the Ocean Girl Archive — Last update: 2009-02-15 — source — meta
Wenn man dem Glauben schenkte, was Neri in der Nacht zuvor gesehen hatte, schien es sicher zu sein, dass Charley irgendwo gefangen gehalten wurde. Die Frage war wo. Brett war sicher, dass es mit dem Diebstahl der Aufnahmen des Walgesangs in Verbindung stand. Jason schien der gleichen Meinung zu sein, und da die Spur scheinbar zum Festland führte, war es seines Gefühls nach das vernünftigste, die Suche in diese Richung zu konzentrieren. Er schlug vor, der Küste zu folgen während Neri versuchte, ihn zu rufen.
„Aber ich kann ihn nicht mehr hören, Jason“, sagte sie.
„Tja, vielleicht singt er nicht so laut wie sonst“, fand Jason achselzuckend.
„Zu dir durchzukommen, wie er es letzte Nacht getan hat muss eine Menge Kraft gekostet haben.“
„Ja, und es muss ihn fertig machen, so wie er da eingesperrt ist.“ fügte Brett hinzu.
„Wenn du nahe genug herankommst könntest du vielleicht wieder mit ihm reden. Wer weiß? Zumindest ist es einen Versuch wert, oder?“
Neri dachte einen Moment nach, dann stand sie auf. „Ich versuche es.
Aber ich gehe alleine. Ist schneller.“
Jason nickte. „Gut, aber bevor du gehst, ich habe dir etwas mitgebracht.“
Er ging zum Boot und kam mit einem Bündel zurück. Es war Neris raufasriges Stoffkleid. „Hier.“ Er übergab es ihr. Nachdem sie sich umgezogen hatte, gab sie ihnen die durchnässten Überreste von Diannes Kleid. „Sagt Mutter, dass ich es nicht mehr brauche“, verkündete sie. „Nie mehr.“
Jason musste daran denken wie ähnlich sie doch der alten Neri war, als sie ins Wasser schritt und unter den Wellen verschwand.
Als Dianne und Winston gingen diesen Morgen das Labor betraten, blieben sie wie versteinert stehen. Lucas saß an ihrem Computer-Terminal und starrte auf den Bildschirm. Er hatte Augenringe und er sah wie ein Mann aus, der nicht viel Schlaf hatte.
„Guten Morgen, Dr. Bates“, sagte er leise ohne aufzuschauen. „Ich habe auf sie gewartet.“
Sie ging hinüber und schaute über seine Schulter. Auf dem Bildschirm war ihre Hauptdatei von Neri. Sie enthielt ein detailiertes Tagbuch sowie Aufnahmen ihrer Unterhaltungen mit Charley und den Ergebnissen ihrer medizinieschen Untersuchungen. Er hatte alles gelesen.
„Sie werden verstehen, dass ich das sofort meinen Vorgesetzten berichten muss“, sagte er.
„Commander, das können sie nicht tun.“
„Das ist meine Pflicht, Dr. Bates. Selbst wenn nur die Häfte davon wahr ist, muss ich sie auf dieses Mädchen hinweisen.“
„Von dem Augenblick an, in dem ihre Existenz öffentlich bekannt wird, werden Wissenschaftler der halben Erde versuchen, sie ihn ihre Hände zu bekommen.“
„Und sie wollen sie für sich alleine haben, ist es das?“
Sie fülte, wie die Wut in ihr aufstieg. „Nein!“
Lucas schaute sie mit einem gelassenen, fragendem Blick an.
„In Ordnung“, gab sie widerwillig zu. „Vielleicht habe ich das anfangs in Erwägung gezogen. Aber Neri ist mir auch ans Herz gewachsen. Sie ist wie einer Tochter für mich geworden. Und ich will nicht, dass sie in einer Freakshow landet.“
„Dafür ist es ein bisschen spät, oder?“
„Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Bitte, Commander, geben sie mir nur vierundzwanzig Stunden.“
Lucas rappelte sich auf und wandte sich in Richtung der Tür.
„Vierundzwanzig Stunden, Doktor“, sagte er.
Neri hatte fast die Hoffnung aufgegeben als sie den Ruf hörte. Sie war draußen im Meer, folgte der Küste, als der schwache Ton ihre Ohren erreichte.
Es klang leise und erschöpft, nichtsdestotrotz war es Charleys Lied. Einen Moment später hatte sie die Richtung abgeschätzt und glitt durch das Wasser auf ihr Ziel zu.
Sie fand ihn in der Bucht, er hing in Gefangenschaft und entmutigt hinter dem Zaun im Wasser. Sie überprüfte hoffnungsvoll die Barriere, doch sie reichte zu hoch um darüber hinwegspringen und zu tief um darunter durchschwimmen zu können.
Sie hielt sich tief unter Wasser und sang zu ihm zurück.
Charley, ich bin hier.
Er antwortete und sein riesiger Körper entspannte sich etwas als er sich zu ihr drehte und sie witterte. Er kam direkt vor den Zaun. Sie reichte mit der Hand nach ihm um ihn zu berühren und, als ihre Hand gegen die Metalmaschen stieß, schoss ein Schmerz wie Feuer durch ihren Arm und erschütterte ihren ganzen Körper.
Zurück auf der Insel zuckte Jason zusammen als er die verbrannte Stelle auf ihrer Handfläche untersuchte. „Es muss eine Art Hochspannung durch dieses Ding fließen“, sagte er zu Brett. „Kein wunder, dass es Chaley umgehauen hat.“
Neri war gedankenverloren, zeichnete mit einem Ast eine Skizze der Bucht in den Sand. „Das brennende Ding läuft hier“, sagte sie und zog eine Linie über die Mündung. „Dann führen große Schlangen zum Haus oben.“
Jason betrachtete es genau. „Das müssten die Stromkabel sein. Und sie kommen von diesem Platz auf dem Hügel. Wenn wir dort rein kommen und es ausschalten könnten, könnten wir den Zaun zerstören.“
„Hör auf zu spinnen.“ Brett schüttelte seinen Kopf. „Wir drei können das nie alleine schaffen. Wir bräuchten eine ganze Truppe.“
„Richtig“, stimmte Jason zu und schob grimmig den Unterkiefer nach vorn. „Und genau so eine werden wir jetzt zusammenstellen.“
„Könnten wir es denn nicht zumindest Mom sagen?“ flüsterte Brett als sie durch den Hauptlift in die Empfangszone schritten.
Jason war entschieden dagegen. Gerade seit die Erwachsenen sich hatten einmischen dürfen war alles schief gelaufen erinnerte er Brett. Niemandem von ihnen würden sie mehr vertrauen. „Darum werden wir nur Kinder darin einweihen.“
Sie trennten sich. Jason suchte Daggy und Lee in der Kantine. „Hey, habt ihr Neri irgendwo gesehen?“ fragte Daggy. „Alle reden darüber, was letzte Nacht passiert ist.“
Jason beugte sich über die beiden und sprach mit leiser Stimme weiter.
„Wenn ihr etwas über Neri erfahren wollt, seit heute Nacht um 22:00 Uhr im Freizeitraum.“
Zur gleichen Zeit sprach Brett mit Froggy und Zoe. „Alles, was ich euch sagen kann ist, dass es wirklich eine große Sache ist. Also erwähnt niemandem irgendetwas gegenüber. Und seit pünktlich.“
„Tja, das macht zusammen sieben, wenn wir Neri mitzählen“, sagte Jason als sie sich wieder in der Empfangshalle trafen. „Fällt dir sonst noch jemand ein?“ Sie sahen sich um. Jodie kam auf sie zu, färbte dabei ihre Fingernägel.
„Was denkst du?“ fragte Jason und gab Brett einen Stoß.
„Die? Jace, sie ist doch wirklich ein Hohlkopf.“
„Vielleicht, aber wir könnten noch ein Paar Hände gebrauchen, oder?“
Jodie schaute mehr als nur leicht verwirrt bei ihrer Einladung, doch versichterte ihnen, da zu sein. Sie musste ihnen versprechen, niemandem etwas zu sagen, doch sie bemerkten nicht, dass Vanessa gerade in diesem Moment die Empfangshalle betreten hatte und sie mit Interesse aus einiger Entfernung heraus beobachtete. Nachdem die Jungen weggegangen waren fühlte Jodie eine Hand auf ihrer Schulter.
„Das war ja vielleicht ein Gespräch, dass du da mit den Bates- Brüdern hattest“, sagte Vanessa. „Macht es dir etwas aus, wenn du mir erzählst, worüber ihr euch unterhalten habt?“
Die Jungen kamen im Labor an mit der Absicht, Dianne zu versichern, es es Neri gut ging und sie sich über nichts Sorgen zu machen brauchte. Statt dessen hörten sie die Neuigkeit über Lucas Entdeckung der Dateien.
„Um so mehr ein Grund, dass wir die Sache heute Nacht geheimhalten müssen“, fand Jason als sie weggingen. „Es ist besser für Mom, wenn sie nicht davon weiß.“
Um 22:00 Uhr sammelte sich eine Gruppe von Kindern erwartungsvoll in dem normalerweise verlassenen Freizeitraum. Als der letzte ankam, forderte Jason Brett dazu auf, an der Türe Wache zu stehen und begann, sie einzuweihen.
„Tja, einige von euch wissen bereits, dass wir wegen Neri hier sind. Sie braucht all unsere Hilfe. Aber zuerst muss ich euch einige Dinge über sie erzählen“, er hielt einen Moment inne um Atem zu holen, dann fuhr er fort.
„Ich muss euch warnen, ihr werdet das kaum glauben. Aber Brett und ich versichern euch, dass jedes einzelne Wort davon wahr ist… “
Im UBRI-Labor, hoch über der Bucht, saß Hellegren und studierte die Ergebnisse des Tages.
„Das ist ziemlich beunruhigend, meine Herren“, sagte er zu Johansson und Billy. „Wir bekommen einige bemerkenswert klare Sprachmuster von dieser Kreatur, aber gleichzeitig wird sie schneller schwächer als wir sie künstlich stimulieren können.“
„Was bedeutet das, Doktor?“ fragte Billy.
„Eine Sonde, die direkt in das Gehirn gesetzt wird. Wir können das Versuchstier zwingen, zu reden, selbst gehen seinen Willen.“
„Könnte das nicht am Ende das Tier umbringen?“
Hellegren zuckte mit den Achseln. „Aber wir würden Informationen bis ans Ende sammeln. Vielleicht sogar den großen Durchbruch, nach dem wir suchen. Und sie müssen verstehen, junger Mann, Opfer muss es immer geben.
So ist die Wissenschaft eben.“
Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
„… also müssen wir Neri helfen, Charley von diesem Platz wegzubekommen. Tja, das ist die ganze Geschichte.“
Jason beendete den Satz und wartete nervös auf eine Antwort. Eine lange Zeit gab es keine. Die übrigen Kinder saßen einfach da mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund.
Schließlich fand Daggy seine Stimme wieder. „Sie schwimmt wirklich wie ein Fisch. Das soll ein Witz sein, oder, Jason?“ Es war eher eine Äußerung als eine Frage.
„Nein, Dags“, antwortete Jason leise. „Das ist kein Witz.“
„Und sie kann wirklich mit diesem Wal reden?“ fragte Lee.
„Frag Brett.“
„Alles, was er eucht gesagt hat, ist verdammt noch mal wahr“, bestätigte Bett. „Kommt morgen mit und ihr werdet es selbst sehen.“
„Ich wusste es!“ rief plötzlich eine triumphierende Stimme. Alle drehten sich um und sahen, wie Vanessa hinter einigen Schließfächern in der Ecke hervorkam. „Ich wusste doch von dem Moment an, als sie an Bord kam, dass irgendetwas mit diesem Mädchen nicht stimmt!“
Jason schnappte nach Luft. „Was tust du denn hier?“
„Wer hat denn da die Klappe aufgemacht?“ sagte Brett und schaute sich vorwurfsvoll im Raum um. Alle Augen drehten sich zu Jodie, die über das ganze Gesicht mit Scham erfüllt war.
„Sie hat gesagt, sie wollte nur wissen, was los war. Sie hat nicht gesagt, dass sie spionieren will!“
Brett schnaubte. „Was hätten wir auch anderes von ihr erwarten können?“
Zu seiner Überraschung bemerkte Jason ein verletztes Flimmern in Vanessas Augen, obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken.
„Tja, vielleicht hätte ich das gar nicht gebraucht, wenn ihr mich je in etwas eingeweiht hättet. Aber nein. Sogar, als meine Uniform geklaut wurde, habt ihr mir nichts gesagt. Ich war immer der Außenseiter, oder?“
„Das liegt daran, dass du so eine Kuh bist“, deutete Brett an.
„Ach ja?“ konterte sie. „Tja, wenn ihr denkt, dass ich eine Kuh bin, frage ich mich, wie ihr mich erst nennt, wenn ich Lucas sage, was ihr vor habt.
Komm, Jodie.“
Aber Jodie blieb stehen. „Nein“, sagte sie. „Ich habe es satt, dass du mich ständig rumkommandierst. Ich bleibe hier. Wenn du sie verrätst, musst du auch mich veraten. Und dann wirst du nicht einen Freund mehr auf dieser Welt habe.“
„Nicht, dass du jemals einen gehabt hättest“, merkte Brett an.
In der Unruhe, die folgte, taten Jason und Lee ihr bestes, um die Situation zu beruhigen. Schließlich nahm Jason Vanessa zur Seite und sprach leise mit ihr.
„Schau mal, ich frage dich das jetzt nicht für mich, ich frage es für Neri. Sie braucht Hilfe und sie hat noch nie jemandem weh getan. Lass einfach deinen Mund geschlossen bis wir morgen früh abgelegt haben. Wir haben zwar kaum einen Hoffnungsschimmer, aber lass es uns zumindest versuchen.“
Vanessa schaute ihn erhaben an und schüttelte den Kopf. „Es gibt nur einen Weg, auf den du ORCA verlassen kannst, ohne dass ich etwas sage.“
„Und der wäre?“
„Ich komme mit euch. Diesmal werden ich nicht diejenige sein, die außen vor gelassen wird.“
Jason schaute unsicher. „Ich weiß nicht so recht.“
„Kapier’s endlich, Bates. Entweder ich gehe auch oder niemand geht.“
„Und der Rest von euch? Wer macht mit?“ fragte Brett und ignorierte sie.
Alle außer Froggy hoben die Hand.
„Oh je“, murmelte er, „das kommt mir irgendwie ein bisschen zu gefährlich vor.“
„Ach was, jetzt sei doch nicht so ein Angsthase, Froggy“, sagte Zoe, sprach dann zu Jason. „Er kommt mit.“
Jason schaute auf die übrigen und dann zurück auf Vanessa. Ihre Augenbrauen hoben sich erwartungsvoll. Jason seufzte.
„Tja, sieht aus, als wären wir dann acht.“
Um 4:00 Uhr, währrend der Rest von ORCA schlief, trafen sich die acht wie abgemacht im dunklen Lagerraum. Sie packten die Kommunikatoren, Laser-Metallschneider und haufenweise Microfaser-Seile zusammen.
Dann schritten sie leise durch die Korridoren in den Hauptlift.
Am Himmel ging gerade die Sonne auf, während ihr Boot inmitten des Ozeans wartend hin- und herschwankte. Plötzlich durchbrach Neri links von ihnen mit einem Wasserschwall die Oberfäche. Die anderen schauten mit weit geöffneten Augen zu als Jason und Brett ihr grüßend zuwinkten. „Ich habe dir ja gesagt, dass wir Freunde mitbringen, um draußen zu helfen“, rief Jason und zeigte auf die Gruppe.
„Danke, Freunde“, sagte Neri ernst. Jason drehte den Motor an. Während Neri vorausschwamm und ihnen den Weg zeigte drehten sie sich in Richtung des Festlands.
Die Sonne kletterte gerade den Himmel hinauf, als das Schiff in einem abgesonderten Meeresarm in einiger Entfernung von der Bucht ankerte. Von ihrem Punkt aus konnten sie das UBRI-Gebäude auf den Klippen oben beobachten. Neri schwamm fort und machte sich unter Wasser auf den Weg zur dem Meer zugewandten Seite des Zauns, dort hielt sie an und sang zu Charley.
Sei geduldig. Unsere Freunde sind gekommen um dich zu befreien.
Die Gruppe bewegte sich gleichmäßig auf einen Punkt zu, um die Bucht überschauen zu können. Unter ihnen konnten sie Charley und die Barriere sehen, die ihn in Gefangenschaft hielt.
Jason begutachtete den Ort des Geschehens und führte eine hastige Besprechung durch. „Wir brauchen zwei Gruppen mit Laser-Schneidegeräten an jedem Ende des Zauns. Brett, du nimmst mit Vanessa diese Seite.“
Brett wollte protestieren, doch Jason schnitt ihm das Wort ab. „Wir haben keine Zeit zum streiten, tu es einfach, in Ordnung? Daggy, du arbeitest dich mit Jodie zum hinteren Ende vor. Wenn wir euch benachrichtigen, schneidet ihr diese Kabel zu schnell wie möglich durch. Viel Glück und drückt die Daumen.“
Die beiden Gruppen gingen los. Jason schaute auf die Übriggebliebenen.
Er, Lee, Froggy und Zoe. Nicht gerade die zwölf Ritter der Tafelrunde, aber sie mussten es auch so schaffen.
„Tja, los gehts“, sagte er.
Sie begannen den weiten, schwerfälligen Weg zum UBRI-Gebäude auf sich zu nehmen.