This document is part of the Ocean Girl Archive — Last update: 2009-02-15 — source — meta
Es sollte schließlich so kommen, dass sie Neri inmitten des Ozeans wieder von Angesicht zu Angesicht begegneten. Jason hatte gerade seinen Bootschein gemacht und musste, als einen Teil seiner Probezeit, ein illegales Treibnetz zur Beseitigung markieren. Diese Fallen durchkämmten die Meere mit ihrem Netz und nicht nur Fische verfingen sich darin, sondern nebenbei auch alle anderen Meeresbewohner, die im Weg waren.
Sie hatten bereits zwei Schildkröten und einen jungen Delphin befreit, als Brett die Luftblasen bemerkte, die einige Meter weit entfernt an der Schnur emporstiegen, was bedeutete, dass sich noch etwas anderes in dem grausamen Netz unter ihnen verfangen hatte.
Sie hatte versucht, eine alte Schildkrötendame zu befreien und sich auf diese Weise mit ihren eigenen Beinen in den Maschen verfangen. Je mehr sie versuchte, sich selbst zu befreien, desto mehr steckte sie fest.
Jason zog das Messer, das an seinem Unterschenkel befestigt war, nahm einen langen Atemzug und sprang in ihre Richtung. Er landete hinter dem Mädchen, begann, das Netz zu zerschneiden und befreite sie und die Schildkröte.
Sie drehte sich überrascht um. Dann sah sie das Messer. Bevor Jason etwas tun konnte, war sie weg. Nach einem Stoß mit den Beinen schoß sie mit unglaublicher Geschwindigkeit in die Tiefe. Jason konnte ihr nur noch verblüfft hinterherschauen.
„Sie war da unten“, keuchte er atmenlos, als er sich selbst zurück auf Deck zog.
„Ich weiß“, sagte Brett mit einer aufgeregten Stille. Er deutete mit dem Zeigefinger. Neri war zurückgekommen. Ihr Kopf und ihre Schultern schwammen neben dem Boot im Wasser.
„Hey, Neri!“ rief Brett und winkte. „Erinnerst du dich an mich?“
„Bre-ett“, antwortete Neri. Doch sie ließ Jason nicht aus dem Augen. Sie schaute ihn mit einem feindseligen Blick an.
„Das ist mein Bruder Jason“, erklärte er. „Keine Angst, er ist cool.“
„Du hast verletzt mit kleinem Speer!“ sagte Neri vorwurfsvoll und machte Schußbewegungen mit ihren Händen.
Jason bemerkte, dass von der Armbrust und dem Wal sprach. Mehrere Minuten vergingen, bis die beiden ihr erklärt hatten, dass der Pfeil keinen Schaden verursachte, sondern nur da war, um mehr über die Kreatur zu lernen.
Außerdem, merkte Brett an, war Jason nicht ihr und der Schildkröte zur Hilfe gekommen? Hätte er das getan, wenn er ihnen irgendein Leid hätte zufügen wollen?
Neri überlegte und schien sich etwas zu beruhigen.
Jason entschied sich, beiläufig das Thema der Insel anzusprechen. Er würde gerne ihr zu Hause sehen, sagte er. Würde sie sie dorthinbringen?
Neri dachte etwas nach, bevor sie antwortete. „Ich frage Freund“, sagte sie. „Wir treffen uns hier, wenn die Sonne wieder kommt.“ Sie deutete auf den Himmel.
„Die gleiche Zeit morgen?“ wollte Jason fragen. Doch es war schon zu spät. Mit einer Bewegung ihres Körpers war Neri getaucht und weg. Sie hielten Ausschau, doch so weit sie sehen konnten, kam sie nicht wieder nach oben an die Oberfläche.
„Was hat sie mit ’einen Freund fragen’ gemeint?“ fragte Jason Brett. „Ich dachte, du haettest gesagt, sie würde dort ganz für sich selbst leben?“
Brett schaute ahnungslos und zuckte mit den Achseln.
Dianne war diesen Abend in ihrer Kabine in nachdenklicher Stimmung.
Sie erklärte, dass sie und Winston einige Problem im Labor gehabt hatten.
Die Aufzeichnungen des Walgesangs wären gelungen, und sie erstellte gerade eine große Bibliothek von Tonbändern. Nur der Bildschirm tat nicht, was er sollte.
Meistens, wenn der Leuchtpunkt anzeigte, dass ihr Wal aufgetaucht war, würden sie einen kleineren, sich bewegenden Punkt daneben sehen. Sie hätten gedacht, es sei nur ein kleinerer Fehler in den Geräten. Aber jetzt fragten sie sich, ob es nicht etwa eine andere Kreatur war. Ein Schweinswal vielleicht.
Oder ein Seehund. Es war eben ziemlich merkwürdig, sagte sie. Noch, gab sie zu, um das Thema zu wechseln, gäbe es eine ganze Menge merkwürdiger Dinge im Meer.
Hinter ihrem Rücken tauschten Jason und Brett einen Blick aus.
„Ich hätte wissen müssen, dass sie nicht auftaucht“, sagte Jason enttäuscht.
Er und Brett hatten draußen, wo das Treibnetz lag, seit zwei Stunden gewartet.
„Wer weiß, wie lange wir jetzt warten müssen, bis wir sie wieder sehen!“
Er wollte gerade den Motor wieder einschalten, als Brett ihn zurückrief.
Neri tauchte aus dem Meer wie ein Schweinswal auf, ein kühner Sprung trug sie direkt an die Oberfläche trug. Einen Moment lang schwebte sie in der Luft, flog in Richtung des wolkenlosen, blauen Himmels bevor sie zurück in die Gischt tauchte und zur Oberfläche glitt.
„Freund sagt ja“, rief sie. „Ihr folgt mir.“
Sogar mit Höchtsgeschwindikeit konnte das Boot es nicht mit der Schnelligkeit aufnehmen, mit der Neri durch das Wasser schoß, und sie musste ab und zu anhalten, damit sie aufholen konnten.
Als das Wasser seichter wurde, führte sie sie sicher durch eine Lücke im Atoll in die ruhige Lagune, die an ihre Insel grenzte. Sie gingen an Land und Jason riß vor Verwunderung die Augen auf.
Schneeweiße Strände verliefen nach links und rechts so weit er blicken konnte. Jenseits des Strandes wuchsen üppige und hohe Wälder von Regenwaldbäumen, ihre Stämme wechselten sich mit Büschen und Blumen ab.
Vögel mit unglaublich schön gefärbtem Federkleid zeigten sich ab und zu auf den Zweigen und Schmetterlinge von der Größe eine Handfläche flatterten durch die Luft.
Sie gingen landeinwärts, angeführt von Neri. Jeder Schritt auf ihrem Weg bot neue Aussichten. Von Tau bedeckte Gruppen leuchtender tropischer Pflanzen. Kleine Beuteltiere, die auf ihren Hinterbeinen standen wie winzige Känguruhs und ihnen hinterherblickten. Riesige wmaragdgrüne Frösche mit goldenen Augen. Mit einem Freudenschrei sauste Brett vorwärts, um einen mit den Händen zu fangen, doch Neri hielt ihn zurück.
„Nicht weiter“, sagte sie und zeigte auf einen Baum, an dessen Stamm ein Zeichen eingebrannt war. Dann deutete sie jenseits davon und sagte: „Böses Land.“
„Böses Land?“ hakte Jason nach.
„Nicht dort hingehen“, antwortete sie mit ernstem Gesicht. „Böse Dinge passieren dort.“ Ohne weitere Erklärungen drehte sie sich um und führte sie einen kleinen Pfad herunter.
Später, als sie ausgelassen im kühlen Wasser eines Stromes neben Neri’s zu Hause tobten, kamen Brett die Frösche wieder ins Gedächtnis. Er hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Und einer von ihnen wäre sicherlich das coolste Haustier, das er seinen Freunden auf ORCA zeigen konnte.
Neri und Jason waren damit beschäftigt, sich an Lianen über dem Strom hin- und herzuschwingen, dann loszulassen und abzutauchen, er mit einem lauten Platschen, sie geschmeidig wie ein Messer, das kaum ein Kräuseln hervorrief. Brett schlich leise weg. Als er am markierten Baum vorbeikam, konnte Brett mehrere der Frösche in Richtung der Spur springen sehen, die geradeaus führte. Er rannte ihnen hinterher.
Jason und Neri bemerkten nicht, dass er weg war, bis sie schwache Hilfeschreie hörten, die der Wind zu ihnen trug. Neri war sofort auf den Füßen und lief. Jason hinkte hinterher und versuchte, sie einzuholen.
Sie zögerte einen Augenblick, als sie am gebrandmarkten Baum ankam, doch Bretts Schreie, die jetzt etwas näher waren, schienen ihr zu helfen, ihren Unwillen zu überwinden. Sie lief den Pfad hinunter mit Jason an den Fersen.
Das Land um sie herum schien sich fast auf der Stelle zu verändern. Üppiger Regenwald machte Mangrovensümpfen Platz, eine Welt von verflochtenen, sich im Wachstum gegenseitig behindernden Bäumen und beißend scharf riechenden Tümpeln aus Schlamm und Brackwasser. Sie fanden Brett, der bis zum Hals in einem besonders schleimigen Teich aus dickem, triefendem Schlamm steckte. Nachdem er hineingefallen war, hatte er versucht, sich freizukämpfen, was ihn nur noch tiefer hineinzog. Innerhalb weniger Minuten wäre er im klebrigen Schlamm völlig versunken.
Neri warf sich selbst mit dem Gesicht nach vorne in den Schlamm und stieß Jason an. Er brauchte einen Moment um zu verstehen, dass er sie am Fuß festhalten sollte. Als sie den festen Griff um ihren schlanken Knöchel spührte, schob sich Neri vorwärts, verteilte ihr Gewicht und griff nach Brett.
Er schaffte es, eine Hand freizubekommen und hielt sie ihr entgegen. Ihre Finger rutschten ab. Einmal, Zweimal. Das dritte mal, schob sich Neri mit einem Ruck nach vorne und umklammerte sein Handgelenk. Dann fing sie an, zu ziehen, langsam, doch beständig.
Zuerst passierte nichts. Dann, mit einem merkwürdigen, schmatzenden Geräusch, begann der Schlamm seinen Griff zu lockern. Als Brett freikam, legte Neri einen Arm um seinen Oberkörper und zog ihn zurück auf festen Boden, wo er zuerst einmal luftschnappend liegen blieb.
Als er sich beruhigt hatte, gab er ernsthaft sein Wort, dass er sich nie wieder in im Sumpfwald in Gefahr bewegen würde.
Dann bemerkte er, dass sein Bruder gar nicht zuhörte. Er starrte auf etwas, das zwischen den Mangroven am Rand eines Tümpels in der Nähe lag. Eine Reihe mehrerer rostiger Metallrippen ragten dort heraus. Andere waren in krummen Winkeln schräg umgebogen oder lagen bereits in einiger Entfernung vom Gerippe des Gebildes und verschwanden im Wasser. Obwohl es nicht mehr ganz vollständig war, war Jason sofort klar, worauf er gerade schaute.
Es waren die Überreste eines Bootes.
„Bist du so hier her gekommen? In diesem Gefährt?“ fragte Jason. Sie waren zurück an der Stelle, die Neri ’zu Hause’ nannte. Nachdem er sich den Schlamm abgewaschen und sich am Feuer getrocknet hatte, befand sich Brett nun in der Krone eines Baums und studierte den nestähnlichen Aufbau hoch in den Ästen, von dem Neri gesagt hatte, dass sie dort schlafen würde.
Neri runzelte die Stirne bei der Frage, als ob sie sich nicht sicher wäre, wie sie antworten sollte.
„Tja, es sieht aus, als wäre es nicht gerade klein gewesen“, deutete Jason an. „Es müssen also mehrere von deinen Leute gewesen sein.“
Neri blickte nachdenklich, als ob sie sich an etwas erinnern wollte, was eine lange Zeit zurücklag. „Ja, ich glaube, Ja-son“, sagte sie schließlich, „als ich sehr klein, vielleicht viele andere. Aber alle weg. Bald nur ich und Vater übrig.“
„Vater?“ sagte Jason überrascht. „Und wo ist er?“
„Gegangen.“
„Wohin gegangen?“
„Einfach gegangen — für immer“, fügte sie regungslos hinzu.
„Jace“, rief Brett von oben unbeholfen, „ich denke, sie meint, er ist, nun ja, tot.“
„Oh“, sagte Jason. „Tut mir leid.“ Doch er bemerkte, dass sie überhaupt kein Anzeichen von Sorge zeigte. Sie verhielt sich, als sei es die natürlichste Sache der Welt.
Das beruhigte ihn etwas, doch Brett kam hinzu. „Und was ist mit dem anderen, diesem Freund von dir? Wer ist das?“
„Jali“, sagte Neri mit leuchtenden Augen.
Jason war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. „Charley?“ hakte er nach.
Neri überlegte einen Moment lang. Ihr Vater hatte ihr das Sprechen gelehrt, doch es waren viele Jahre vergangen, seit sie einen Grund gehabt hatte, Worte zu benutzen. Vielleicht hatte es falsch mitbekommen. „Ja, Charley“, willigte sie ein.
„Schläft der auch da oben?“ fragte Brett.
Neri warf den Kopf zurück und kringelte sich vor lachen. Die beiden Jungen schauten sich verwirrt an, als sie mit dem Kopf schüttelte und sich selbst immer wieder ungläubig wiederholte: „Charley! Im Nest schlafen!“
„Was ist da so lustig dran?“ fragte Jason. „Und wo lebt dieser Charley überhaupt?“
Neri drehte ihren Kopf in eine Richtung, als ob sie nach etwas hören wollte. Dann grinste sie.
„Gerade zu Hause“, sagte sie. „Kommt mit.“
Sie führte sie runter in eine geschützte Bucht. Jason schaute sich um. Es war niemand in Sicht. Er wollte gerade etwas sagen, als er bemerkte, dass Neri sich konzentrierte und eine merkwürdige Melodie unter ihrem Atmen summte. Dann hielt sie inne, deutete auf das Meer und sagte „Dort.“
In diesem Augenblick bemerkte Jason, dass sich etwas an der Mündung der Bucht unter der Oberfläche bewegte, ein großer, dunkler Umriss.
Die Kreatur tauchte auf, hob sich aus dem Wasser, bevor sie mit einem lauten Platschen wieder auf der Oberfläche auftraf und einen Wasserschwall aus dem Atmenloch spritzte.
„Freund Charley“, lächelte Neri. Sie hob einen Arm, um ihn zu Grüßen.
Der Wal glitt unter die Oberfläche. Einen Moment später hob sich sein gigantischer Schweif in die Luft und er schwenkte im Gegenzugdie Schwanzflosse auf und ab.
Jason und Brett standen einfach da und schauten mit offenem Mund zu, als Neri ins Wasser sprang und auf ihn zuschwamm.
„Hättest du geglaubt, wie sie einfach in direktem Weg auf das Ding zu rausgeschwommen ist, wenn du es nicht selbst gesehen hättest?“ flüsterte Brett. Sie waren zurück in ihrere Kabine auf ORCA und sie wollten nicht, dass Mom zufällig etwas mitbekam.
Jason brauchte nicht zu antworteten. Es schien keinen Zweifel zu geben.
Sie hatten es mit ihren eigenen Augen gesehen. Neri’s Freund war ein Buckelwahl. Es war verrückt, aber die Wahrheit.
Sie lagen beide eine Weile lang in nachdenklicher Stille auf ihren Betten.
Jason ergriff schließlich wieder das Wort. „Ich sage dir, was ich denke“, begann er. „Wo auch immer sie herkommt, sie war mit einer Gruppe von Leuten in diesem Boot. Sie müssen an der Stelle Schiffsbruch erlitten haben, wo wir das Wrack gesehen haben, und kamen nicht wieder von der Insel weg.“
„Wie alt denkst du denn war sie?“ unterbrach ihn Brett.
„Schwer zu sagen. Sie scheint kein sehr gutes Zeitgefühl zu haben. Aber sehr jung würde ich sagen. Jedenfalls“, fuhr er fort, „starb der Rest von ihnen ziemlich schnell. Vielleicht haben sie von den gleichen Beeren wie du gegessen, ich weiß nicht. Aber nur sie und ihr Vater sind übriggeblieben. Und dann nur noch sie. So ganz ohne andere Leute hat sie sich dann mit Charley angefreundet.“
„Ja, schon möglich“, antwortete Jason, „aber ich glaube, wir wissen jetzt, was der kleine Punkt ist, den Mom auf ihrem Bildschirm hat.“
Es war eine lange, nachdenkliche Pause, bevor er leise fortfuhr. „Hör zu, Brett, ich denke nicht, dass wir schon irgendjemandem über sie erzählen sollten. Einerseits bin ich mit nicht sicher, ob sie gerettet werden will. Außerdem, tja, um die Wahrheit zu sagen, hätte ich sehr gerne die Insel für uns alleine.
Zumindest eine gewisse Zeit lang. Also werden wir den Mund halten und es solange genießen, wie es geht. Abgemacht?“
Er hielt seine Hand nach unten. Brett willigte mit einem Handschlag ein.
„Abgemacht“, sagte er.