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This document is part of the Ocean Girl Archive — Last update: 2009-02-15 — sourcemeta

Author:Peter Hepworth
Published:1994-01-01
Archived:2008-05-08

7. Neris Wunsch

„Wirklich Jason“, sagte Mom verwirrt, „manchmal weiß ich echt nicht, was ich mit dir machen soll“

Sie gab ihm die Bescheinugung zurück, die bestätigte, dass er die letzte Stufe des Tauchkurses abgeschlossen hatte und berechtigt sei, das ORCA Equipment zu benutzen.

„Als du hier ankamst, hast du nur rumgemeckert, wie sehr du es doch hassen würdest. Jetzt machst du den Bootschein, die Tauchlizens… Was hat zu dieser Einsellungsänderung geführt?“

„Hey, ich versuche nur, das beste daraus zu machen, wie du es gesagt hast“, antwortete Jason abwehrend. „Ist doch nichts dabei.“

„Tja, Winston und ich hätten dann ja in Zukunft noch einen weiteren Taucher zur Verfügung“, grinste sie. „Wenn alles fehlschlägt, könnte er unsere einzige Hoffnung sein, diesen leuchtenden Punkt zu identifizieren, der mit unserem Wal schwimmt.“

Jason versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

„Bist du immer noch hinter dem her, Mom?“ fragte Brett mit unschuldigem Blick.

Mom nickte. „Das hat uns wirklich verwirrt“, sagte sie. „Wir sind all unsere Aufnahmen durchgegangen um einen Hinweis darauf zu finden, was es sein könnte. Aber bis jetzt, nichts.“

„Ist eben Pech“, sagte Jason so ernst wie möglich.

„Oh, wir haben noch nicht aufgegeben, glaub mir. Winson hat noch eine andere Theorie, die er heute ausprobieren möchte. Ihr könnt mitkommen und helfen, wenn ihr wollt, so lang wie ihr uns nicht in den Füßen rumlauft.“

„Oh, wäre toll, Mom. Danke für das Angebot.“

„Nein, ich meine das ernst. Ihr seid willkommen. Ich habe euch beide die letzten Tage kaum gesehen.“

„Danke trotzdem, aber wir haben schon etwas vor. Wir sehen uns heute abend.“

Und bevor sie noch etwas sagen konnte waren sie schon weg.


Auch auf der Insel gab es einige sorgenerweckende Entwicklungen.

Über die letzten Wochen hatte Jason bemerkt, dass sich Neri irgendwie verändert hatte. Zuerst hatte sie kein wirkliches Interesse an irgendetwas außerhalb ihres Wohngebiets gezeigt, außer ihrer Faszination immer wenn Mom erwähnt wurde. Doch später hatte sie angefangen, ihnen lange Fragen über ihr Leben auf ORCA zu stellen.

„Wozu ist dieses Fernsehn gut, worüber ihr gesprochen habt?“ fragte sie heute Brett als sie um das Feuer herum saßen und letzten Kartoffeln in der Glut erhitzten.

„Fernsehn?“ fragte Brett mit vollem Mund. „Tja, das ist wie … eine Art Kiste an der Wand.“

„Was macht ihr damit?“

Brett zuckte mit den Achseln. „Nicht viel. Wir schauen einfach drauf.“

„Warum?“

„Tja, weil da Dinge drin sind.“

„Welche Dinge?“

„Aller Art. Zum Beispiel Spielfilme… “

„Spiel-filme?“ Neri schaute ihn fragend an.

„Oder manchmal Football.“

„Was ist Football?“

„Es ist ein Spiel. Viele Leute laufen rum und werfen sich Bälle zu.“

„Warum?“

„Was weiß ich. Sie tun es halt einfach.“

„Aber wie kommen die alle in diese Kiste?“

Jason konnte sehen, wie Brett langsam verzeifelte.

„Sie sind nicht wirklich in der Kiste“, versuchte Brett langsam zu erklären.

„Es ist nur ein Bild von ihnen. Das funktioniert alles mit Elektrizität.“

„Was ist Elek-trizität?“ Neri beugte sich eifrig nach vorne.

„Nichts wichtiges, Neri“, unterbrach Jason. „Du brauchst so etwas hier nicht. Und außerdem würdest du es nicht sehr interessant finden.“

Neri überlegte einen Moment. „Ich denke vielleicht schon“, sagte sie schließlich.

Jason fühlte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken herunterlief.


Vanessa war in zorniger Stimmung als sie nach ORCA zurückkehrte. Sie holte Jodie aus der Kantine und Jodie saß vor dem Spiegel und machte ihr Haar zurecht, während Vanessa ihre Verdachtsmomente darlegte und ihr erzählte, was zu Beginn des Tages passiert war.

„Die Sache ist diese“, sagte Vanessa. „Was auch immer sie vorhaben, sie wissen, dass ich hinter ihnen her bin. Also lassen sie nichts von sich hören, sobald ich in ihrer Nähe bin. Aber du — niemand würde sich drum kümmern, wenn du da bist.“

„Was?“ Jodie hatte irgendwie das Gefühl, dass sie sich beleidigt fühlen sollte, aber sie war sich nicht sicher, warum.

„Und ich will, dass du deine Augen und Ohren offen hälst“, fuhr Vanessa fort, „und wenn du etwas herausfindest, dann lass es mich wissen.“

„Aber das wäre ja wie Spionieren. Ich glaube nicht, dass ich das tun kann, Vanessa.“

„Du wirst es trotzdem tun, Jodie. Andernfalls könnte ich erzählen, wer Wasserstoffsuperoxyd aus dem Lagerungslabor klaut, um sich damit die Haare zu bleichen.“

Jodie schaute erschreckt auf. „Bitte tu das nicht. Meine Eltern würden mich umbringen!“

„Gut, dann wirst du mir helfen und ich dir. Okay?“

Jodie nickte schweigend.


Für die meiste Zeit dieses Nachmittags hatte Neri Jason und Brett weiterhin mit Fragen über ORCA beschäftigt. Wie sahen ihre Schlafnester aus?

Wo sammelten sie ihr Essen? Wie sah ihr zu Hause aus? Wer waren ihre Freunde? Was war ein Aufzug?

Brett hatte fröhlich versucht, ihre Fragen zu beantworten, doch sie verursachten ein nervöses Gefühl bei Jason. Als sie diesmal zu ihrer Heimfahrt aufbrachen, war er ziemlich froh, die Insel verlassen zu können.

Als sie das kleine Boot vom Strand ins Wasser schoben, hielt Neri ihn am Arm fest. „Jason“, sagte sie feierlich, „ich habe mich entschieden. Ich will euer zu Hause sehen. Mit meinen eigenen Augen.“

Jason erbleichte. „Du meinst du willst nach ORCA?“ stotterte er. „Soll das ein Witz sein?“

„Ich gezeigt euch meine Welt… “ Sie deutete auf die Insel, dann zeigte sie in Richtung des Meeres. „Ich gezeigt euch Charley’s Welt. Jetzt werdet ihr mir eure Welt zeigen.“

Er schüttelte den Kopf. „Oh-oh, Neri. Nicht möglich. Auf keinen Fall.“

Er versuchte entschlossen zu klingen, doch als sie am Strand saß und ihnen hinterherschaute, übersah er den behaarlichen Blick nicht, der sich immer noch in ihrem Gesicht befand.


„Ihr hättet heute hier sein müssen, Jungs. Wir sind da auf etwas phantastisches gestoßen!“

Brett zog den Virtual-Reality-Helm und -Handschuh aus, sein Geburtstagsgeschenk von Mom. Er hatte gerade Androidenjäger gespielt und das Level sechs geschafft. „Hmm?“

„Setzt euch hin und ich werde es euch erzählen.“

Sie wartete, bis Brett sich zu Jason auf den winzigen Klapptisch gesetzt hatte bevor sie fortfuhr. „Tja, wir haben unsere Aufnahmen durch ein Tonanalysegerät geschickt. Bisher haben wir uns auf die Töne konzentriert, die unser Wal macht. Doch dann hat Winston versehentlich in ein anderes Frequenzband geschaltet. Und plötzlich hörten wir etwas, was wir noch nie zuvor gehört haben. Der Sender empfängt noch eine zweite Stimme.“

Jason war wie versteinert. Etwas sagte ihm, das dies keine gute Neuigkeit sein würde.

„Es ist sehr schwach, weil es von draußen kommt. Aber zwinschen den Walgesängen scheint etwas anderes zurückzusingen. Und wir denken, wir wissen, was es ist.“

Sie lehnte sich zu ihnen rüber, und konnte das Lächeln in ihrem Gesicht kaum verkneifen. „Ihr erinnert euch an den lustigen kleinen Freund des Wals, den wir ständig auf dem Schirm sehen?“ fuhr sie fort.

Jason und Brett wagten es nicht, sich gegenseitig anzuschauen.

„Ja, klar“, sagte Brett mit einem angespannten Ton in seiner Stimme.

„Wir wissen, welches Ding du meinst.“

„Tja, wir wissen, dass unser Freund nur über eine kurze Entfernung ruft.

Und es ist das einzige Wesen, das ständig bei ihm ist. Also haben wir daraus gefolgert, dass es das ist, mit dem er spricht! Und nicht ein anderer Wal im Ozean!“ verkündete Mom triumphierend.

Die Jungen sagten nichts. Mom begann etwas irritiert zu schauen. „Versteht ihr nicht, was das bedeutet? Die beiden können miteinander reden.“

Sie wartete auf eine Reaktion. Jason fühlte sich schließlich verpflichtet, etwas zu sagen. „Das ist toll, Mom“, sagte er vorsichtig.

„Toll!“ rastete Mom aus. „Schau, das ist möglicherweise ein großer Durchbruch. Damit ist bewiesen, dass zwei Spezies miteinander kommunizieren lönnen. Das könnte für uns der Schlüssel zur Entzifferung ihrer Sprache sein.

Und alles, was ihr sagen könnt ist, dass es toll ist!“

Mom starrte sie zornig an. „Wirklich“, fuhr sie fort und presste ihre Lippen zusammen. „Du weißt, Jason, es würde euch nicht umbringen, zur Abwechslung auch mal etwas Interesse an meiner Arbeit zu zeigen. Das würde es wirklich nicht!“

Sie drehte sich um, ging zornig in Richtung ihres Schlafraums und ließ Jason und Brett in einer entnervten Stille zurück.


„Eine Sache muss man Dr. Bates lassen“, sagte Hellegren, „sie macht ihre Arbeit exzellent.“

Die Geräusche des Walgesangs schallten durch das Hauptlabor im UBRI Hauptquartier. Zur gleichen Zeit flackerten zitternde Muster von Hirnwellen auf einem Schirm.

„Herrlich“, stimmte sein Begleiter zu, „ich habe noch nie etwas gesehen, das auch nur annähernd so gut wie das hier war.“

„Und dass sind nur die allerersten Aufnahmen, Johansson. Unsere Kontaktperson auf ORCA lässt sie uns in der Reihenfolge zukommen, wie sie gemacht werden. Kein Zweifel, sie sollten im Laufe der Zeit noch besser werden.“

„Sind sie wenigstens sicher, dass keine Probleme entstehen könnten, Dr.

Hellegren? Wenn man uns dabei erwischen sollte, wie wir die Forschungsarbeit von jemand anderem verwenden… “

„Beruhigen sie sich. Sie werden es nie erfahren.“

„Trotzdem“, bestand Johansson, „ich bin nicht so ganz froh darüber.“

Hellegren warf einen kühlen Blick in seine Richtung. „Muss ich sie daran erinnern, um was es hier geht? Wer auch immer die Sprachbariere zu diesen Wesen als erster überwindet, erhält eines Tages auch die Kontrolle über sie.“

„Ja, ich weiß, die militärischen Möglichkeiten sind enorm, aber … “

„Sogar in Friedenszeiten“, fuhr Hellegren hartnäckig fort, „haben wir ein Potential von mehreren millionen Dollar zu erwarten. Bei diesen finanziellen Aussichten müssen die Regeln eben etwas abgeändert werden.“

Johansson nickte zustimmend. Hellegren wandte sich wieder dem Bildschirm zu. „Ein höchst interessantes Versuchstier scheint Dr. Bates sich da ausgesucht zu haben“, grübelte er. „Ich denke, wir werden eine Menge von diesem Kerl lernen.“


„Du hättest schon etwas mehr Interesse zeigen können, nur damit sie beruhigt ist“, merkte Brett an, als die Jungen sich ins Bett legten.

„Was ist denn so interessant daran?“ erwiderte Jason. „Das entwickelt sich noch zu einer Kathastrophe. Mom weiß, das etwas mit Charley redet.

Wie lange wird es wohl noch dauern, bis sie auf Neri stößt?“

„Das wird schon alles wieder cool“, sagte Brett mit seiner nervenden Art.

„Es gibt keinen Grund, warum sie es je herausfinden sollte.“

„Vergiss nicht, wir haben auch noch Vanessa im Schlepptau.“ erinnerte Jason ihn.

„Da müssen wir nur ab jetzt etwas vorsichtiger sein, wenn wir zur Insel fahren.“

„Und dann ist da noch die wahnwitzige Idee von Neri, ORCA sehen zu wollen. Das macht mir wirklich Sorgen.“

„Ach, das wird sie bald vergessen.“

„Tja, da hoffen wir besser, dass du recht hast“, murmelte Jason und runzelte die Stirn, „denn wenn nicht, werden wir bald bis zum Hals im Schlamassel stecken.“


Brett konnte nicht wissen, dass Neri in ihrem Nest lag, hinauf auf die Sterne schaute und sich versuchte all die Wunder vorzustellen, die in dem zu Hause der Fremden am Meeresboden waren. Wunder, so entschied sie sich, die sie eines Tages mit ihren eigenen Augen sehen musste.